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1.
Demographische Bestimmungsgrößen in China
2.
Bevölkerungsentwicklung im
20. Jahrhundert
2.1
Die Zeit der Republik
bis 1949
2.2 Die kommunistische
Partei
2.3 Die Hungersnöte 1961
2.4
Kehrtwende und
Geburtenkontrolle
2.5 Die Ein-Kind-Kampagne
3.
Zukunftsperspektiven
4. Literaturverzeichnis
5. Autor und Copyrighthinweis
1. Demographische Bestimmungsgrößen in China
Um das Bevölkerungswachstum Chinas besser einschätzen
zu können, ist ein Vergleich Chinas mit dem weltweiten Wachstum hilfreich.
Dabei ist zu beachten, dass es neben Unterschieden zu europäischen Eigenheiten
auch Gemeinsamkeiten gibt. Der Wissenschaftler Malthus stellt die ´hohe´
Sterblichkeit in China als ausschlaggebenden Faktor für die Begrenzung des
Bevölkerungswachstums dar. Allerdings waren die Sterblichkeitsraten in China
vor 1900 vergleichbar mit denen in Europa vor der industriellen Revolution.
Laut Malthus gab es damals kaum Möglichkeiten Geburtenzahlen zu verringern,
jedoch es gab Mechanismen, die ich im Folgenden anhand einer Gegenüberstellung
von Fruchtbarkeit und Sterblichkeit erläutern möchte.1
Katastrophen, wie Überschwemmungen und Krankheiten,
fallen oft sehr viele Menschen zum Opfer. In diesem Zusammenhang spielt die
Siedelung in Überflutungsgebieten eine wichtige Rolle.2 Ferner
reduzierte man wie in anderen Kulturen, wie zum Beispiel den alten Griechen,
Römern oder Südamerikanern auch in China die Bevölkerungsgröße durch
Kindermorde und erhielt dadurch einen geringeren Frauenanteil durch Selektion
und einen höheren Anteil an Söhnen, die für ein Fortbestehen der Familien sehr
wichtig waren, da nur sie den Namen und die
Vorstellungen der Familie (z. B. bezüglich Macht) weitertragen konnten.
Kindermord wurde früher wie eine nachträgliche Abtreibung gewertet.3 Heutzutage
ist Kindermord in China verboten und gilt als unmoralisch. Zu einem Rückgang
der Sterblichkeit führten die Verbesserungen im Gesundheitswesen. Seit dem 18.
Jahrhundert gewann die Gesundheit von Kindern (z. B. das Stillen von der
eigenen Mutter) zunehmend an Relevanz, was zu einem Reduktion der Kindersterblichkeit
führte. Den Rückgang der allgemeinen Sterblichkeitsrate führte man größtenteils
auf eine effizientere Krankheitsbekämpfung zurück.4
Der Sterberate steht die Geburtenrate gegenüber. Seit dem
dritten Jahrtausend v. Chr. war die Heirat, wie auch Menzius später sagte,
wichtig, um männliche Nachkommen hervorzubringen.5 In China
heirateten fast alle Frauen, und dies relativ jung. Nur
2,3% der 30-jährigen Frauen waren um 1900 n. Chr.
unverheiratet. In Europa dagegen waren es 15%. So ist es auch öffentliche
Meinung, „nur eine verheiratete Frau könne glücklich leben“.6 Die
Zahl der Geburten während einer Ehe waren bei den Chinesinnen im Durchschnitt
geringer als bei Europäerinnen. Während einer Zeitspanne von 250 Jahren lag der
Geburtendurchschnitt chinesischer Frauen bei einer Ehedauer von 20 – 50 Jahren
bei weniger als sechs Kindern, bei europäischen Frauen hingegen bei ca. acht
Kindern. Ein Grund hierfür war, dass man in China mit dem Zeugen von Kindern
spät begann (drei Jahre nach der Heirat) und früh damit aufhörte (mit 34
Jahren). Außerdem waren die Abstände mit mehr als drei Jahren zwischen den
Geburten größer.7 Laut Malthus sei das Wachstum abhängig von der
Lebenserwartung und der Geburtenkontrolle durch Institutionen, was, wie ich weiter
unten erläutern werde, erst im 20. Jahrhundert geschah. Für die Lebenserwartung
und der damit verbundenen Entscheidung Kinder zu zeugen, spielten
Getreidepreise und Ernteumfang eine entscheidende Rolle.8 Darüber
hinaus machte man es davon abhängig, ein weiteres Kind zu zeugen, ob das erste
Kind ein Junge oder ein Mädchen war. Im Gegensatz zu Europa, wo das
Bevölkerungswachstum größtenteils durch Heiraten kontrolliert wurde, hatte man
in China mehrere Möglichkeiten, wodurch verhindert werden konnte, dass trotz
früher und häufiger Heirat, Chinas Bevölkerung nicht an seine Aufnahmegrenze
stieß. Diese Möglichkeiten waren Kindermord (teilweise auch bei Jungen), eine
geringere Fruchtbarkeit durch eheliche Zurückhaltung sowie eine geringere
Anzahl von Männern, die heirateten. Die eheliche Zurückhaltung war in China
weit verbreitet. Bereits Laotze und Menzius behaupteten, man müsse, um den
Geist entwickeln zu können, die sexuelle Begierde kontrollieren. Dieser
Grundgedanke ist auch in anderen chinesischen Religionen, wie dem Daoismus,
Konfuzianismus und Buddhismus verwurzelt. Man war der Meinung, man fördere die
eigene Gesundheit und verlängere seine Lebenserwartung, wenn man nur ein- bis
zweimal im Monat Beischlaf ausübte.9
Nach Malthus ist das Bevölkerungswachstum auch an das
Vorhandensein von Nahrung gebunden.10 Die starke Bevölkerungszunahme
ab 1550 ging mit landwirtschaftlichen Neuerungen einher, wie Neuzüchtungen des
Champa-Reises (kürzere Anbauperioden), Mehrfachanbau und Fruchtwechsel
(Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit). Während die Durchschnittsgröße der
chinesischen Bevölkerung um 1900 n. Chr. noch bei 163 cm lag, betrug sie 1980
bereits 171 cm. Hieraus lässt sich ein gestiegener Ernährungsstandard ableiten.
Die Weizenproduktion stieg auf 260 kg pro Person im Jahre 1920 auf 390 kg pro
Person im Jahre 1990.11In der gleichen Zeit stieg Chinas Bevölkerung
von ca. einer halben auf eine Milliarde Menschen. Aus diesem Grund erscheint
mir ein Konsumanstieg zweifelhaft.
Auch wenn Minderheiten bezüglich des Bevölkerungswachstums
eine eher geringe Bedeutung haben, da 93% der chinesischen Bevölkerung
Han-Chinesen sind, sind bei ihnen oft mehr Geburten pro Familie zu beobachten.
Insbesondere ältere Frauen bekommen deutlich mehr Kinder als Han-Frauen.12
Im chinesischen Familiensystem wurden Entscheidungen über
Heirat, Geburt, Konsum und Produktion (Arbeit) und sogar Tod von allen
Familienmitgliedern getroffen, nicht vom einzelnen Ehepaar, wobei der Vater als
Familienoberhaupt galt. Die Entscheidung richtete sich nach dem Wohlergehen
aller.13 Es gab fünf Beziehungskriterien zu beachten: Herrscher –
Untertan, Vater – Sohn, älterer Bruder – jüngerer Bruder, Ehemann – Ehefrau und
zwischen Freunden. Daneben hatten folgende drei generelle Prinzipien
Gültigkeit: Generation (Eltern über Kinder), Alter (Ältere über Jüngere),
Geschlecht (Mann über Frau). So konnten Eltern jederzeit Kinder töten. Falls
dies grundlos geschah, wurden sie lediglich mit 100 Bambusrohrschlägen oder
durch Zahlung von 15 Unzen Silber bestraft. Wenn hingegen ein Kind seine Eltern
schlug, konnte es bereits zum Tode verurteilt werden. Der Staat hatte die
Kontrolle über das Volk. Heiratsalter und andere intime Dinge (z. B. eheliche
Zurückhaltung, Kindermord, Umsiedlung) wurden den Familien manchmal sogar vorgeschrieben.
Dadurch versuchte man das Wohlergehen des Volkes zu gewährleisten. Die Aufgabe
des Staates war unter anderem die Versorgung der Bevölkerung mit Essen und
Bekleidung sowie die Gewährleistung von Sicherheit.14 Hätte es keinen Kindermord gegeben oder eine gleich hohe
Fruchtbarkeit der Frauen wie in Europa vorgeherrscht, wäre Chinas Bevölkerung
um ein Vielfaches stärker gewachsen. Dies war aber die Basis für die Adoption.
Man adoptierte Jungen, wenn man selbst keinen für die Familiennachfolge hervorbringen
konnte. Man adoptierte Mädchen als spätere Bräute für ihre Jungen. Außerdem blieb auf diese Weise
niemand kinderlos. Während im Westen nur 1% Kinder adoptiert wurden, stammten
in China 10% der Kinder aus Adoptionen.15
2. Bevölkerungsentwicklung im
20. Jahrhundert
2.1 Die Zeit der Republik bis 1949
Die Zeit der Gründung der Republik bis zur Machtübernahme
durch die Kommunisten unter der Führung Mao Ze Dongs war von Bürgerkriegen und
Konflikten mit Japan, der Sowjetunion, der USA sowie den europäischen Ländern
geprägt. Sun Yatsen, der „Vater der Republik“, und dessen Nachfolger Chiang
Kaishek setzten kaum Reformen durch, die Auswirkungen auf das
Bevölkerungswachstum gehabt hätten. So war zwar eine Bodenreform geplant, deren
Umsetzung fand jedoch nie statt, u. a. wegen
innerer Unruhen, die in China zwischen Generälen, Gentry, Bürgertum und
Bauern herrschten. Aufgrund dieser unsicheren Lage wuchs Chinas Bevölkerung in
diesem Zeitraum kaum stärker an, wie es auch vor der Gründung der Republik der
Fall war. Man orientierte sich an den gesellschaftlichen Werten, die ich oben
bereits dargelegt habe. Durch die medizinische Versorgung sank die
Sterblichkeitsrate.16 Zu einem Wachstum führten sicher auch die
gestiegenen Einkommensmöglichkeiten. Technologische Neuerungen und ein
Wirtschaftswachstum sorgten für mehr Arbeitsplätze. Vor allem auf dem Land war
ein großer Bevölkerungsanstieg festzustellen, da man auf bisher ungenutzten
Feldern wirtschaftete und mehr Arbeitskräfte gebraucht wurden. Auf diese Weise
gelangte die Landbevölkerung zu mehr Wohlstand und zu steigenden
Bevölkerungszahlen. Eine Industrialisierung hingegen machte sich in dieser Zeit
noch nicht bemerkbar.17 Zu dieser Zeit entbrannte über die „richtige“
Bevölkerungspolitik ein Streit. Auf der einen Seite standen
Sozialwissenschaftler, die eine Überbevölkerung proklamierten, auf der anderen
Seite die Republikaner, die ein hohes Bevölkerungswachstum forderten. Ihre
Begründung lag darin, dass die Taiping-Revolution, Dürren und Überschwemmungen,
die es in China Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts
gegeben hatte, große Verluste gefordert hatten, die es auszugleichen gelte.18
2.2 Die kommunistische Partei
Als Moa Ze Dong 1949 die
Macht übernahm, verfolgten die Kommunisten das Ziel das
Bevölkerungswachstum anzukurbeln. Waren
früher hohe Bevölkerungszahlen mit hohen Staatseinnahmen und besseren
Möglichkeiten zur Abwehr von Eindringlingen
verbunden, so sah Mao Ze Dong in einer großen Bevölkerung nationale
Stärke. Bestärkt wurde er durch die Theorien von Karl Marx. Man war der
Ansicht, durch die stark wachsende Produktion viele Probleme, wie
Arbeitslosigkeit und einer auf Überbevölkerung basierenden Armut, lösen zu
können.19 So verbot man Abtreibung und Sterilisation.20
1950 wurde eine Landreform durchgeführt, wodurch das Land kleineren Bauern
zugeteilt wurde. Zu dieser Zeit wuchs Chinas Bevölkerung stark an, die meisten
Geburten wurden dabei in ländlichen Regionen gezählt.21 In den
Städten verbesserte sich die Lage aufgrund der raschen Industrialisierung.
Hierdurch wurden 30 Mio. neue Arbeitsplätze geschaffen, was zu großen
Bevölkerungszuwächsen in den Städten führte. Innerhalb von nur 10 Jahren konnte
man einen Anstieg von 215% verzeichnen.22 Umsiedlungspläne, die
Teile der zugewanderten Stadtbevölkerung in Randgebiete zu verteilen suchten,
blieben ohne Erfolg, auch wenn diese erst 1980 endgültig eingestellt wurden.23
Die meisten Menschen wollten nicht an ihrem neuen Wohnort bleiben und kehrten
in die Städte zurück.23 Trotz der Späht-Ehen-Propaganda von 1955 und
der Produktion von Verhütungsmitteln stiegen die Geburtenzahlen weiter an,
während gleichzeitig die Rate des Arbeitsplatzzuwachses abnahm.23
Die anfänglichen Familienförderprogramme endeten abrupt, als man 1959 zum
„großen Sprung“ nach vorne ansetzte und durch den Masseneinsatz von
Arbeitskräften fehlende Technik kompensieren versuchte. Als der damalige Rektor
der Bejing Universität Kritik an der nachlassenden Geburtenkontrolle äußerte,
wurde dieser kehrtwendend entlassen.23
2.3
Die Hungersnöte
1961
Die Hungerskatastrophe von
1961 war eine Folge menschlichen Versagens bei Planungen und natürlichen
Katastrophen bei der Getreideproduktion. Sie forderte ca. 25 Millionen Tote und
weitere Opfer starben durch die Folgen dieser Katastrophe. In diesem Zeitraum sank die Geburtenrate so stark, dass Chinas
Gesamtbevölkerung um 13 Millionen Menschen schrumpfte.24 Eine
Wirtschaftskrise und Massenentlassungen in den städtischen Betrieben waren die
Folge. Man startete einen Neuansatz der Geburtenkontrolle und gründete 1964 die
Geburtenkommision.25 Die Hungersnöte lösten 1963 einen Babyboom aus
und man startete die „Ein-Kind“ Propaganda. Dadurch erreichte man einen
schnellen Geburtenrückgang in den Städten.26 Auf dem Land hingegen
wuchs die Bevölkerung unkontrolliert.27 Die Neuansätze endeten 1966
mit Beginn der Kulturrevolution, die bis 1969 fortdauerte.25 Die
Folge war ein enormes Bevölkerungswachstum, das man folgenden Ereignissen
zuschreiben kann: Durch die Gründung von Kommunen sank der Einfluss der Eltern
und die Menschen erlangten größere individuelle Freiheit, arrangierte Ehen wurden
verboten. Den Heiratspartner konnte man frei wählen, musste aber von der
Kommune eine Heiratserlaubnis erbitten. Ein Ehegesetz verbot Polygamie, auch
versuchte man die Familie als solche abzuschaffen, indem man Frauen und Männer
in Kommunen trennte und Kinder in Schulen beherbergte. Durch die Landreform
wurde der Privatbesitz von Feldern abgeschafft und diese wurden fortan durch
die Kommunen verwaltet, in denen jedem Arbeiter eine Aufgabe zugeteilt
wurde. Die Folge war, dass man sich
weder um einen Arbeitsplatz noch um die Beschaffung von Nahrungsmitteln zu sorgen brauchte, da die
Getreideernten pro Kopf berechnet wurden. Ferner waren Schulen sowie die
Gesundheitsversorgung kostenlos.28
2.4
Kehrtwende und
Geburtenkontrolle
Bis 1970 wuchs Chinas
Bevölkerung mehr oder weniger unkontrolliert. Ein erfolgreiches Einschreiten
fand erst statt, als Zhou Enlai eine Geburtenkontrolle forderte. Man begann mit
Familienplanungskampagnen. Man betrachtete die Geburtenkontrolle nun nicht mehr
unter gesundheitspolitischen Aspekten, sondern erörterte sie im Rahmen von
Ernährungsfragen und Wirtschaftsplänen.25 Drei Ziele wurden
verfolgt: Eine spätere Heirat, längere Intervalle zwischen den Geburten und
weniger Kinder.26 Lag das durchschnittliche Heiratsalter 1949 noch
bei 18,5 Jahren, so lag es 1979 bei 23 Jahren.29 Zwischen 1970 und 1979 wurden 210 Millionen
Operationen, in aller Regel
Sterilisationen, Abtreibungen und Spiraleneinsatz, durchgeführt. Durch eine
gestiegene Verhütungsrate durch Sterilisationen, die Verwendung von Spirale und
Pille (8%), sank die Abtreibungsrate. Ebenfalls Anteil daran hatten
Aufklärungskampagnen.30 Angesichts der in China herrschenden
Gesellschaftsordnung, nämlich die Kontrolle des Staates über das Volk, scheint
es plausibel, dass die Bevölkerungspolitik des Staates für das
Bevölkerungswachstum ausschlaggebend war und ist, sowohl für das Wachstum in
den 60ern als auch nach der Kehrtwende in der Politik ab 1970. Das Ausmaß, das
man dadurch erreichte war jedoch lediglich unter den Kommunisten derart von
Bedeutung.31
2.5 Die Ein-Kind-Kampagne
Da
der Rückgang des Bevölkerungswachstums nicht in dem Maße ausfiel, wie es sich
die Regierung erhoffte, verstärkte man die Bemühungen, das Bevölkerungswachstum
zu regulieren und begann mit der Ein-Kind-Kampagne. Da frühere Ansätze (und
deren Wirkung) nur von kurzer Dauer waren, bezeichne ich die Periode ab 1979
als Zeit der Ein-Kind-Propaganda. Erstmals seit 1949 wurde die Familienplanung
1982 konstitutionalisiert. Laut Artikel 25 der Verfassung sollte der Staat
durch Familienplanung das Bevölkerungswachstum in Einklang mit Wirtschafts- und
Sozialwachstum bringen. Nach Artikel 49 haben sowohl der Ehemann als auch die
Ehefrau die Pflicht, Familienplanung zu betreiben.32 Zwischen 1979
und 1983 entwickelte man ein System von Anreizen und Sanktionen, das mit Hilfe
von Gewaltakten das Erreichen der Ziele sichern sollte.33 Abtreibung
und Verhütungen waren Folgen der Limitation. Auf dem Land benutzten mehr als
15% Verhütungsmittel, in den Städten 35% bei einer Abtreibungsrate von
20%. Hohe Geburtenrückgänge erzielte
man anfangs aufgrund späterer Heiraten nur in Städten, seit 1980 ist auch ein
bemerkenswerter Rückgang auf dem Land festzustellen.32 Während
dieses Zeitraumes kam es 1980/ 81 zu einer Entspannungsphase, die zu früheren
Heiraten und durch die Ausweitung des Ausnahmekatalogs bezüglich der
Genehmigung von zwei Kindern zu einem kleinen Babyboom führte.32
Zwischen 1984 und 1989 wurden die Gesetze weiter entschärft, als ausreichender
Grund für die Erlaubnis, ein zweites Kind bekommen zu dürfen, war ein
Geburtenabstand von vier Jahren ausreichend.34 Die hohe
Akzeptanz in der Bevölkerung kann man daraus erschließen, dass das
Familienplanungsprogramm nicht kritisiert wurde als im Frühling 1989 Millionen
Chinesen in Peking gegen die Regierungspolitik demonstrierten. Meistens haben
die Abtreibungs- und Sterilisationsopfer das Mitgefühl der Bevölkerung, jedoch
herrscht allgemeine Überzeugung, dass
diese Vorgehensweisen notwendig sind.35 1990 verschärfte sich die
Situation als man die Strafen erhöhte und die Sanktionen auch auf Randgruppen
ausdehnte.34 Seit 1991 sind Beamte, denen Quoten vom Staat
vorgegeben werden36, für das Erreichen der Vorgaben verantwortlich
und können gegebenenfalls entlassen werden. Hierdurch wurde die Effizienz des
Familienplanungsprogramms gesteigert und die Anwendungen von Sanktionen und
Gewaltakten nahm zu.37 Aufrufe zur Einhaltung der Maßnahmen werden
in allen Medien, wie Werbetafeln, Büchern, CDs, Filmen, Nachrichten und
Internet verbreitet.38 Ab 1990 wurden auch wieder Spätehen
propagiert, die bis zu diesem Zeitpunkt in den Hintergrund getreten waren. Ein
mehrstufiges Genehmigungsverfahren für Geburten war in Städten ausgereift. Es beinhaltete
die Selbstverpflichtung einer späten Schwangerschaft, der Geburt nur eines
Kindes, der Garantieerklärung zur Verwendung von Kontrazeptivas und der
Hinterlegung einer Kaution. Gründe für die Genehmigung eines zweiten Kindes
sind meistens Arbeitskräftemangel, Probleme bei der Altersversorgung oder
Fortführung einer Familienlinie. Bei Minderheiten werden oft drei, vier oder
fünf Kinder genehmigt, die tibetische Landbevölkerung ist bis heute völlig
freigestellt.39 Die Abtreibungsrate ist ähnlich wie in den USA mit
30 – 50% relativ hoch, da Prässare, Antibabypillen und andere Verhütungsmittel
entweder zu teuer sind oder nachlässig verwendet werden. Anreize sind mit 60
Yuan pro Jahr als Belohnung oft zu gering, auf dem Land wird selten eine
Belohnung bezahlt, da die Belohnung in Städten von den dort ansässigen
Betrieben übernommen werden. Ein sinnvoller Anreiz für die Landbevölkerung wäre
zusätzliches Land oder eine kollektiv getragene Altersversorgung. So überwiegen
die Sanktionen, die mit 10% Lohnabzug über 14 Jahre für beide Ehepartner
angesetzt werden. Sie können, je nach Ermessen, bis zum 6-fachen
Jahresgehalt durch eine einmalige Zahlung abgeglichen werden. Ferner verliert
man das Recht auf eine medizinische Grundversorgung im Krankheitsfall, das
Anrecht auf eine schulische Ausbildung der Kinder und in einigen Fällen auch
den Arbeitsplatz.40 Probleme ergeben sich aus der geringen
Durchsetzbarkeit auf dem Land, der Privatsphäre von privatwirtschaftlich
tätigen Personen, organisatorischen Problemen auf den Kreisebenen, fehlende
finanzielle Mittel und Kompetenzzuordnungen. Außerdem führen die
Ermessensspielräume der Beamten zu Korruption.41
3.
Zukunftsperspektiven
Laut
Untersuchungen durch chinesische Sozialwissenschaftler wurde ein Optimum von
700 Mio. Einwohnern festgesetzt, das man im Jahre 2070 erreichen will. Um dies
zu erreichen ist man versucht, die Geburtenrate auf 2,16 Kinder pro
verheiratetes Paar ab dem Jahre 2000 zu senken.42 Um das Jahr 2040
soll sich die Bevölkerungsanzahl bei 1,6 Mrd. stabilisieren.43 Auf
diese Weise wird Chinas Bevölkerung ab
2030 ein hohes Durchschnittsalter haben, wohingegen nur 10% der Bevölkerung,
nämlich staatlich Angestellte, eine Altersvorsorge haben. Ansonsten hofft man
zur Altersversorgung immer noch auf die eigenen Kinder.44 Weitere
Probleme ergeben sich dadurch, dass sich in den Städten eine Migrantenschicht
bildet, die Benachteiligungen bei Sozialleistungen, Wohnverhältnissen und
öffentlichen Dienstleistungen in Kauf nehmen müssen. Ein großes Unruhepotential
liegt in der Gefahr eines möglichen Kampfes um Arbeitsplätze und Löhne. Eine
drohende Massenarbeitslosigkeit birgt ein hohes innenpolitisches
Unruhepotential und hätte eine steigende Kriminalität zur Folge.45
Dies kann nur verhindert werden, wenn die Einkommen aller kontinuierlich
steigen.46 Übernutzung von Ackerboden führt zu Wasserverschmutzung,
der übermäßige Einsatz von Kohleenergie führt zur Luftverschmutzung,
Bodenerosionen und Entwaldungen zu einer Wüstenausbreitung. Werden keine
Änderungen im Preis- und Finanzierungssystem für Getreideanbau
vorgenommen,
entstehen bei der Getreideversorgung Probleme.47 Die Folge wäre eine
hungernde Landbevölkerung. Ein weiteres Konfliktpotential liegt in dem
Spannungsverhältnis zwischen Niedriglohn- bzw. Hochbeschäftigungspolitik und
Wirtschaftsreformen wie Einkommenserhöhungen und Produktivitäts-steigerungen.48
Weniger drastisch sind die Projektionen für die Belastungen durch die
Altersvorsorge, da man nur einen Anteil von 17% der über 65jährigen für das
Jahr 2040 erwartet. Dies entspräche einem Anteil wie er in Deutschland
vorherrscht. Ein Rückgang des Bevölkerungswachstums ist daher keine Garantie
für einen höheren Lebensstandart.49 Ein weiteres Problem ergibt sich
aus einem Ungleichgewicht zwischen Jungen und Mädchen, das dadurch entsteht,
dass bei Abtreibungen oft Ultraschalluntersuchungen zur Bestimmung des
Geschlechts zu Rate gezogen werden, aber es gibt Bemühungen dieses zu
beseitigen, wie zum Beispiel eines höheren Kindergeldes für Mädchen.50 Abschließend sei noch gesagt, dass es selbst
in China eine immer stärker wachsende Bevölkerungsschicht gibt, die Kritik an
Menschenrechtsverletzungen und Sanktionen, die die eigene Freiheit bezüglich
der Sexualität und Fortpflanzung einschränken, übt. Die steigende Anzahl von
egozentrischen Einzelkindern wird in Zukunft Grundwerte der chinesischen
Werteordnung verändern.51
4. Literatur
Brown, Lester R., Wer ernährt China? Alarm für einen
kleinen Planeten, Aus dem Englischen von T. Ewers, Holm, 1997
Cannon,
Terry & Alan Jenkins, The Geography of contemporary China. The Impact of
Deng Xiaoping´s decade, London, 1990
Lee,
James and Wang, Feng, One quarter of humanity: Malthusian mythologie and
Chinese realities. 1700-2000, Harvard University Press, Cambridge /
Massachusetts,1999
Herrmann-Pillath, Carsten und Lackner, Michael,
Länderbericht China, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 1998
Ho,
Ping-ti, Studies on the Population of China, Harvard University Press,
Cambridge/ Massachusetts, 1959
William
Lavely und R. Bin Wong,
Revising the
Malthusian Narrative
1 William Lavely und R. Bin Wong, Revising
the Malthusian Narrative, S. 715/738
2 Ho, Ping-ti, Studies on the Population of China, Harvard
University Press, Cambridge/ Massachusetts, 1959, S. 229
3 Lee, James
and Wang, Feng, One quarter of humanity: Malthusian mythologie and Chinese
realities. 1700-2000, Harvard University Press, Cambridge / Massachusetts,1999,
S. 42/61
4 Lee,
James and Wang, Feng, S. 45f./52
5 Lee,
James and Wang, Feng, S. 75
6 Lee, James and Wang, Feng, S. 68ff
7 Lee, James and Wang, Feng, S.
86
8 Lee, James and Wang, Feng, S. 97
9 Lee, James and Wang, Feng, S.
90
10 Lee, James and Wang, Feng, S. 14
11 Lee, James and Wang, Feng, S. 31
12 Cannon, Terry and
Alan Jenkins, The Geography of contemporary China. The Impact of Deng Xiaoping´s
decade, London, 1990, S. 109
13 Lee, James and Wang, Feng, S. 125
14 Lee, James and
Wang, Feng, S. 128
15 Lee, James and Wang, Feng, S. 107
16 Cannon, Terry and
Alan Jenkins, S. 110
17 Lee, James and Wang, Feng, S. 115ff.
18
Herrmann-Pillath, Carsten und Lackner, Michael, Länderbericht China,
Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 1998, S. 358
19 Herrmann-Pillath,
Carsten und Lackner, Michael, S. 359
20 Cannon,
Terry and Alan Jenkins, S. 129
21 Lee, James and
Wang, Feng, S. 93f.
22 Lee, James and
Wang, Feng, S. 119
23 Herrmann-Pillath,
Carsten und Lackner, Michael, S. 359-362
24 Cannon, Terry and
Alan Jenkins, S. 111
25 Herrmann-Pillath,
Carsten und Lackner, Michael, S. 361
26 Cannon, Terry and
Alan Jenkins, S. 112
27 Lee,
James and Wang, Feng, S. 119
28 Lee, James and
Wang, Feng, S. 121
29 Cannon,
Terry and Alan Jenkins, S. 115
30 Cannon, Terry and
Alan Jenkins, S. 114
31 Lee, James and
Wang, Feng, S. 130
32 Cannon,
Terry and Alan Jenkins, S. 116
33 Herrmann-Pillath,
Carsten und Lackner, Michael, S. 362
34 Herrmann-Pillath,
Carsten und Lackner, Michael, S. 362
35Lee, James and Wang, Feng, S.
133f.
36 Lee, James and Wang, Feng, S. 94
37 Lee, James and
Wang, Feng, S. 132
38 Lee, James and
Wang, Feng, S. 134
39 Herrmann-Pillath,
Carsten und Lackner, Michael, S. 363
40 Cannon,
Terry and Alan Jenkins, S. 122
41 Herrmann-Pillath, Carsten und Lackner, Michael, S. 364
42 Cannon, Terry and Alan Jenkins, S. 118
43 Herrmann-Pillath,
Carsten und Lackner, Michael, S. 372
44 Cannon, Terry and Alan Jenkins, S. 122
45 Herrmann-Pillath, Carsten und Lackner, Michael, S. 274
46 Herrmann-Pillath,
Carsten und Lackner, Michael, S. 372
47 Brown, Lester R., Wer ernährt China? Alarm für einen
kleinen Planeten, Aus dem Englischen von T. Ewers, Holm, 1997, S. 89/144
48 Herrmann-Pillath,
Carsten und Lackner, Michael, S. 373
49 Cannon, Terry and Alan Jenkins, S. 125
50 Cannon,
Terry and Alan Jenkins, S. 123
51 Herrmann-Pillath, Carsten und Lackner, Michael, S. 274